Von Lucy Komisar*, Beat Kraushaar Und Henry Habegger, Mitarbeit: Laurent Duvane
SonntagsBlick (Zurich) 9 Dezember 2001
BERN – 600 Kilo nukleares Material wollten Ex-SVP-Nationalrat Bernard Rohrbasser und Notar R. verkaufen – an die Saudis. Verwickelt in den dubiosen Handel ist auch das Departement für auswärtige Angelegenheiten. Jetzt ermittelt die Bundesanwaltschaft.
Diesen Mittwoch erhielt die Bundesanwaltschaft brisante Dokumente von der Journalistin Lucy Komisar aus den USA. Diese belegen, dass 1992 über die Schweiz ein gross angelegter Handel mit Red Mercury – Codename für nukleares Material (siehe Box) – abgewickelt werden sollte. Es ging dabei um die Summe von 200 Millionen Franken.
Auf Schweizer Seite in den dubiosen Deal verwickelt: der SVP-Politiker und Ex-Nationalrat Bernard Rohrbasser aus dem Kanton Freiburg, der Notar R. und der Kaufmann R. S. (Namen der Redaktion bekannt). Ebenfalls involviert: das Eidgenössische Amt für auswärtige Angelegenheiten EDA und die Flughafenbehörden von Genf-Cointrin. Verkäufer des nuklearen Materials: russische Militärs. Abnehmer: ein Abgesandter der saudi-arabischen Königsfamilie. Sowohl Rohrbasser wie Notar R. bestätigen diesen Sachverhalt.
Nach Recherchen von SonntagsBlick steht bis jetzt fest: Notar R. bekam von einer Schweizer Bank eine Kreditlimite von 200 Millionen Franken, um den Nukleardeal abzuwickeln. «Ohne diese Absicherung wären die Russen gar nicht angereist », erinnert sich Notar R. Die horrende Summe wurde bewilligt, nachdem eine von SVP-Politiker Rohrbasser geschriebene Bescheinigung vorlag. Das Schreiben, auf offiziellem Briefpapier des Nationalrates verfasst, sagt aus, «dass der Käufer ein Abgesandter der saudi-arabischen Königsfamilie ist und das EDA den Nuklear-Handel als legal bezeichnet. » Trotz der Brisanz des Schreibens, das dem EDA vorliegt, hielt man es dort nicht für nötig, Abklärungen zu treffen.
Notar R. erinnert sich: «Nachdem diese Absicherungen vorlagen, besuchte mich ein russischer Oberst in meiner Kanzlei in Yverdon. » In Absprache mit dem saudi-arabischen Käufer wurde vereinbart, dass 20 Behälter je 30,23 Kilo Red Mercury in die Schweiz transportiert werden sollen. Der Preis pro Kilo: 330 000 Franken. Die Gesamtsumme für den Nuklearhandel: Rund 200 Millionen Franken. Notar R. erzählt: «Wir haben dann die Ankunft der strahlenden Ware präzise vorbereitet. »
Und so war der Deal geplant: Die über 600 Kilo Red Mercury werden per Flugzeug zum Flughafen Genf-Cointrin gebracht. «Wir haben dies mit dem Zoll und der Flughafenpolizei in Cointrin abgesprochen. Ein Teil des Flughafens wäre vor der strahlenden Ware speziell gesichert worden », behauptet Notar R. Und: «Ich glaubte, ich sei in einem James-Bond-Film. » Sowohl er wie auch Ex-SVP-Nationalrat Rohrbasser behaupten, dass der Handel aber nicht zu Stande kam. Nach SonntagsBlick vorliegenden Informationen stimmt dies nicht. «Es wurden Deals abgewickelt », sagt ein Informant, der anonym bleiben will.
Eigenartig: 1994 führte die Bundespolizei in der Kanzlei von R. eine Hausdurchsuchung durch. Dabei wurden Dokumente über den Red-Mercury-Handel beschlagnahmt. «Die Polizei gab mir später die Dokumente zurück. Seither habe ich nie mehr etwas von denen gehört », sagt R.
Das dürfte sich jetzt ändern: Die Bundesanwaltschaft bestätigt den Erhalt der brisanten Dokumente. «Wir ermitteln und prüfen, ob strafrechtliche Tatbestände vorliegen », sagt Bundesanwaltsprecher Hansjürg Mark Wiedmer.
* Lucy Komisar ist Journalistin in New York, spezialisiert auf investigativen Journalismus.
Giftiger Schmuggel
«Red Mercury gibt es als Substanz nicht. Es ist ein Codename für Schmugglerware im nuklearen Bereich und für hochgiftige Schwermetalle », sagt Hansruedi Indermühle, Sprecher des AC-Labors in Spiez. Unter dem ominösen Namen Red Mercury wurden laut Indermühle beispielsweise Uran, Plutonium, Cäsium und Osmium 187 angeboten – aber auch viele Fälschungen. Als Verkäufer treten vor allem Russen und dubiose Waffenhändler auf. Die wichtigsten Abnehmer für Red Mercury sind Irak, Iran, Afghanistan, Indien, Pakistan, Libyen, Saudi-Arabien und Südafrika. Die Schweiz war in den 90er-Jahren eine Haupt-Drehscheibe für diesen höchst umstrittenen Handel.